22. März 2018

“Die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Islam wurde den Rechten überlassen”

Zum gestrigen "Internationalen Tag gegen Rassismus" fand im Abgeordnetenhaus von Berlin eine Anhörung zum Thema "Rechtsextreme, rassistische und antisemitische Gewalttaten in Berlin im Jahr 2017" statt. Mina Ahadi, Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime, wurde für eine Stellungnahme eingeladen.

Mei­ne sehr geehr­ten Damen und Her­ren, 

wir alle sind besorgt ange­sichts der anhal­tend hohen Zah­len von ras­sis­tisch und anti­se­mi­tisch moti­vier­ten Gewalt­ta­ten. Denn sie bele­gen nicht nur die erschre­cken­de All­täg­lich­keit phy­si­scher und psy­chi­scher Angrif­fe. Sie zei­gen auch, wie weit grup­pen­be­zo­ge­ne Men­schen­feind­lich­keit in der Bevöl­ke­rung ver­brei­tet ist und wie sehr das gesell­schaft­li­che Kli­ma ver­gif­tet wur­de. So müs­sen wir auch in Ber­lin beob­ach­ten, wie Rechts­extre­mis­ten gegen Flücht­lin­ge und Aus­län­der het­zen und wie Isla­mis­ten beim al-Quds-Tag auf offe­ner Stra­ße zur Ver­nich­tung Isra­els auf­ru­fen und juden­feind­li­che Paro­len ver­brei­ten. Trotz aller Bemü­hun­gen der letz­ten Jah­re für ein fried­li­ches Zusam­men­le­ben ste­hen wir wei­ter­hin vor die­sen Pro­ble­men und wir müs­sen uns ehr­lich fra­gen, war­um das so ist. 

Ein zen­tra­ler Punkt bei der Beant­wor­tung die­ser Fra­ge ist mei­nes Erach­tens unser Umgang mit dem poli­ti­schen Islam. Die­se Bewe­gung hat lei­der auch in Deutsch­land an Macht und Auf­merk­sam­keit gewon­nen und wird zugleich von gro­ßen Tei­len der Poli­tik ver­harm­lost oder sogar hofiert. Tra­gi­scher­wei­se waren es vor allem lin­ke Par­tei­en und Intel­lek­tu­el­le, die jede berech­tig­te Kri­tik am Islam als “isla­mo­phob” oder sogar als “ras­sis­tisch” bezeich­ne­ten und Kri­ti­ker und Betrof­fe­ne wie mich in die rech­te Ecke gestellt haben. Die öffent­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Islam wur­de damit den Rech­ten über­las­sen, die von die­ser Situa­ti­on sehr pro­fi­tiert haben. Denn die ras­sis­ti­schen Kräf­te konn­ten sich nur durch den Miss­brauch der vie­len unbe­ant­wor­te­ten Pro­ble­me als Sprach­rohr der Unzu­frie­de­nen ver­kau­fen.

Dabei wird häu­fig über­se­hen, dass Rechts­po­pu­lis­ten und ‑extre­mis­ten ähn­lich auto­ri­tä­re, homo­pho­be und sexis­ti­sche – kurz: men­schen­feind­li­che – Posi­tio­nen wie die Isla­mis­ten ver­tre­ten. Mit ihrem tra­di­tio­nell-patri­ar­cha­len Fami­li­en­bild, ihrer Aver­si­on gegen eine fort­schritt­li­che Sexu­al­erzie­hung und ihrer rück­stän­di­gen Hal­tung zu Men­schen­rech­ten und Wis­sen­schaft träu­men die Rech­ten den glei­chen fun­da­men­ta­lis­ti­schen Traum wie die Isla­mis­ten. Sie bei­de redu­zie­ren Men­schen auf Grup­pen­iden­ti­tä­ten, statt ein­zel­ne Men­schen als Indi­vi­du­en in ihrer Unter­schied­lich­keit ernst zu neh­men. Und bei­de leh­nen die libe­ra­le Demo­kra­tie als Aus­druck soge­nann­ter “west­li­cher Deka­denz” ab. 

Um auf die­se dop­pel­te Bedro­hung durch Rechts­extre­mis­ten und Isla­mis­ten zu reagie­ren, soll­ten wir deut­li­cher als zuvor für die Prin­zi­pi­en der offe­nen Gesell­schaft ein­ste­hen – näm­lich Frei­heit, Gleich­heit, Indi­vi­dua­li­tät, Ratio­na­li­tät und Säku­la­ri­tät. Kon­kret bedeu­tet das, dass wir Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen und Het­ze unter kei­nen Umstän­den tole­rie­ren soll­ten. Die Poli­tik soll­te zudem ihre Beschwich­ti­gungs- und Appease­ment­po­li­tik mit den isla­mi­schen Orga­ni­sa­tio­nen und Ver­bän­den been­den und den Ein­fluss von reli­giö­sen Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen auf das Bil­dungs­sys­tem, das Gesund­heits­we­sen, die Medi­en und die wis­sen­schaft­li­che For­schung ver­hin­dern. 

Dadurch wür­de nicht nur die reak­tio­nä­re isla­mi­sche Bewe­gung, son­dern auch das frem­den­feind­li­che Lager in der Gesell­schaft zurück­ge­drängt. Nur so wer­den unse­re Kin­der ohne Hass und Bru­ta­li­tät in einer mensch­li­che­ren und fried­li­che­ren Gesell­schaft zusam­men auf­wach­sen kön­nen. Nur so las­sen sich Fana­tis­mus und Radi­ka­li­sie­rung ver­hin­dern.

Ich hof­fe daher sehr, dass die deut­sche Poli­tik end­lich kon­kret Stel­lung gegen den poli­ti­schen Islam bezieht und sich soli­da­risch mit all jenen zeigt, die sich aus den Ket­ten der reli­giö­sen Bevor­mun­dung befrei­en wol­len. Vor allem Men­schen­recht­le­rIn­nen und Femi­nis­tIn­nen soll­ten sehen, wie Frau­en der­zeit im Iran gegen das Mul­lah-Regime und gegen den Kopf­tuch­zwang pro­tes­tie­ren und damit gro­ße Gefah­ren in Kauf neh­men. Denn das Kopf­tuch ist nicht nur ein harm­lo­ses Stück Stoff oder nor­ma­les Klei­dungs­stück, son­dern ein Sym­bol für eine patri­ar­cha­le Kul­tur, in der Frau­en nicht als gleich­wer­tig ange­se­hen wer­den. Es ist ein poli­ti­sches Instru­ment, um die Reli­gi­on in das Pri­vat­le­ben der Men­schen zu ver­an­kern und Macht über sie aus­zu­üben.

Den auf­rech­ten Gang und den Mut der ira­ni­schen Frau­en wün­sche ich mir auch in Deutsch­land. Denn statt für falsch ver­stan­de­ne Tole­ranz soll­ten wir end­lich für huma­nis­ti­sche Wer­te und für die Auf­klä­rung ein­ste­hen. Die Fein­de der offe­nen Gesell­schaft – die Ras­sis­ten, Isla­mis­ten und Anti­se­mi­ten – hät­ten dann ein gewal­ti­ges Pro­blem.

Weitere Beiträge

Für ein humanistisches Stadt- und Menschenbild

Nach den Äuße­run­gen von Fried­rich Merz zum „Stadt­bild” folg­te der bekann­te Reflex: Empö­rung hier, Bei­fall dort. Doch weder mora­li­sche Ent­rüs­tung noch kul­tur­kämp­fe­ri­scher Popu­lis­mus brin­gen unse­re Gesell­schaft wei­ter. Ein Kom­men­tar von ZdE-Vor­sit­zen­de Mina Aha­di.

Weiterlesen »