21. Mai 2016

Offener Brief: Islamkritikerin lehnt Einladung von AfD ab

Die Islamkritikerin und ZdE-Vorsitzende Mina Ahadi wurde zu einem Gespräch mit AfD-Bundessprecherin Frauke Petry eingeladen. In einem offenen Brief erklärt sie ihre Absage.

Sehr geehr­te Frau­ke Petry,

von Ihrem Par­tei­kol­le­gen Mar­kus Frohn­mei­er habe ich eine Ein­la­dung für ein gemein­sa­mes Tref­fen mit Ihnen erhal­ten. Aus Grün­den der Höf­lich­keit möch­te ich erklä­ren, wie­so ich die­ser nicht nach­kom­men wer­de. 

Ich gehe davon aus, dass Sie mit mir – als Vor­sit­zen­de des Zen­tral­rats der Ex-Mus­li­me – über die Rol­le des Islam in unse­rer Gesell­schaft reden wol­len. Mei­ne Grund­hal­tung ist dazu unmiss­ver­ständ­lich: Reli­gi­on ist Pri­vat­sa­che. Das gilt für den Islam, eben­so wie für das Chris­ten­tum und alle ande­ren Reli­gio­nen, die seit jeher Fein­de des kul­tu­rel­len Fort­schritts waren. Denn die Geschich­te lehrt uns: Sobald die gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se nach den Vor­stel­lun­gen einer Reli­gi­on tanz­ten, kam es zu Unter­drü­ckung, Ver­fol­gung und Frei­heits­be­rau­bung.

Ich selbst muss­te als poli­ti­sche Akti­vis­tin den bru­ta­len, faschis­to­iden Cha­rak­ter der Bewe­gung des poli­ti­schen Islam am eige­nen Leib erfah­ren. Wie Sie viel­leicht wis­sen, bin ich vor 35 Jah­ren aus dem Iran geflo­hen. Als die Revo­lu­ti­on im Iran schei­ter­te, Isla­mis­ten die Macht ergrif­fen und Kho­mei­ni den Kopf­tuch­zwang anord­ne­te, orga­ni­sier­te ich mit ande­ren muti­gen Men­schen Pro­test­ak­tio­nen und Demons­tra­tio­nen. Auf­grund mei­ner regime- und reli­gi­ons­kri­ti­schen Akti­vi­tä­ten durch­such­te die ira­ni­sche Geheim­po­li­zei mei­ne Woh­nung, wäh­rend ich auf der Arbeit war. Dabei wur­den mein dama­li­ger Mann sowie fünf Gäs­te fest­ge­nom­men und kurz dar­auf hin­ge­rich­tet. Ich konn­te ent­kom­men, wur­de aber in Abwe­sen­heit zum Tode ver­ur­teilt und steck­brief­lich gesucht. Daher leb­te ich zunächst acht Mona­te mit­ten in Tehe­ran im Unter­grund und flüch­te­te schließ­lich nach Ira­nisch-Kur­di­stan. Nach zehn Jah­ren bewaff­ne­tem Kampf in Kur­di­stan flüch­te­te ich 1990 nach Wien und lebe nun seit meh­re­ren Jah­ren in Köln. Seit­dem ich den Zen­tral­rat der Ex-Mus­li­me gegrün­det habe, wer­de ich auch in Deutsch­land von Isla­mis­ten bedroht und stand län­ge­re Zeit unter Per­so­nen­schutz.

Sie sehen: Der Preis ist hoch, den ich für mei­nen Wunsch nach einem selbst­be­stimm­ten Leben in einer gerech­ten Gesell­schaft zah­len muss­te. Ich weiß genau, wel­che Grün­de hin­ter einer Flucht ste­hen kön­nen. Und ich bin sehr froh, dass ich in Deutsch­land die Mög­lich­keit erhal­ten habe, ein gutes Leben füh­ren zu kön­nen. Doch ähn­li­che Schick­sa­le muss­ten auch ande­re erlei­den. Vie­le Men­schen sind gera­de des­halb nach Deutsch­land geflüch­tet, weil sie in einer offe­nen Gesell­schaft leben möch­ten, statt in einer isla­mis­ti­schen Dik­ta­tur. Vie­le flüch­ten vor Krieg, Ter­ror, Gewalt und Aus­beu­tung.

Kön­nen Sie sich eine Welt vor­stel­len, in der der Ellen­bo­gen dazu genutzt wür­de, um die­sen Schutz­su­chen­den die Hand zu rei­chen? 

Ich befürch­te, ehr­lich gesagt, nicht. Statt­des­sen pro­pa­giert Ihre Par­tei eine zyni­sche Abschot­tungs­po­li­tik und nimmt damit den Tod tau­sen­der Men­schen in Kauf. Anstatt Wor­te des Mit­ge­fühls aus­zu­spre­chen, schwa­dro­nie­ren Sie sogar von Schuss­waf­fen­ge­brauch an den Außen­gren­zen. Ich fra­ge Sie offen: Haben Sie denn rein gar nichts aus der Geschich­te gelernt? Wie vie­le Men­schen müs­sen noch in NATO-Sta­chel­draht­zäu­nen ver­blu­ten, wie vie­le ver­durs­ten und im Mit­tel­meer ertrin­ken, bevor Sie auch nur eine emo­tio­na­le Regung, nur eine ein­zi­ge mensch­li­che Ges­te zei­gen? Ist Ihre Bor­niert­heit wirk­lich gren­zen­los?

Auch wenn sich die AfD öffent­lich zur huma­nis­ti­schen Tra­di­ti­on der Auf­klä­rung bekennt, bleibt dies ein Lip­pen­be­kennt­nis. Denn im Grun­de genom­men ver­tritt sie eine ähn­li­che auto­ri­tä­re, homo­pho­be und sexis­ti­sche – kurz: men­schen­feind­li­che – Posi­ti­on wie die ultra­kon­ser­va­ti­ven Islam­ver­bän­de. Mit ihrem tra­di­tio­nell-patri­ar­cha­len Fami­li­en­bild, ihrer Aver­si­on gegen eine fort­schritt­li­che Sexu­al­erzie­hung und ihrer rück­stän­di­gen Hal­tung zu Men­schen­rech­ten und Wis­sen­schaft träumt Ihre Par­tei den glei­chen fun­da­men­ta­lis­ti­schen Traum wie die Isla­mis­ten. Sie bei­de redu­zie­ren Men­schen auf Grup­pen­iden­ti­tä­ten, statt ein­zel­ne Men­schen als Indi­vi­du­en in ihrer Unter­schied­lich­keit ernst zu neh­men.

Die Par­al­le­len sind kein Zufall. Denn die AfD ist die Par­tei der erz­re­ak­tio­nä­ren, christ­lich-fun­da­men­ta­lis­ti­schen Bewe­gung in Deutsch­land. Dies ist der Grund, war­um Sie einer­seits den Islam kri­ti­sie­ren, zugleich aber ande­re Maß­stä­be bei der nicht min­der irra­tio­na­len christ­li­chen Reli­gi­on anle­gen. Nur so lässt es sich erklä­ren, dass Bea­trix von Storch, also eine Frau mit reli­giö­sen Wahn­vor­stel­lun­gen, eine Füh­rungs­po­si­ti­on in Ihrer Par­tei ein­nimmt.

Sehr geehr­te Frau Petry,

Weder die Idee einer christ­li­chen Fes­tung Euro­pa noch die kul­tur­re­la­ti­vis­ti­sche Beschwich­ti­gungs­po­li­tik gegen­über dem Islam ent­spre­chen mei­ner Vor­stel­lung von einer offe­nen Gesell­schaft. Doch die insze­nier­te Islam­kri­tik der AfD ist eine Mogel­pa­ckung, hin­ter der sich frem­den­feind­li­che Ein­stel­lun­gen ver­ber­gen.

Ich möch­te nicht miss­ver­stan­den wer­den: Islam­kri­tik ist not­wen­dig – auch in Euro­pa. Denn der poli­ti­sche Islam ist eine gefähr­li­che Bewe­gung und eines der gro­ßen Pro­ble­me unse­rer Zeit. Tra­gi­scher­wei­se haben vie­le euro­päi­sche Regie­run­gen aber auch Lin­ke und Intel­lek­tu­el­le die­ses Pro­blem igno­riert oder ver­schwie­gen. Wäh­rend muti­ge Men­schen ver­such­ten im Iran die Poli­tik der Stei­ni­gun­gen, Hin­rich­tun­gen und Frau­en­un­ter­drü­ckung zurück­zu­drän­gen, nah­men unse­re lin­ken Freun­de im Wes­ten die isla­mi­sche Bar­ba­rei gleich­gül­tig hin.

Doch frem­den­feind­li­che Grup­pie­run­gen wie die AfD bie­ten kei­ne Lösun­gen für das Pro­blem. Die Ant­wort auf die Bar­ba­rei kann nur die Soli­da­ri­tät mit fort­schritt­li­chen, huma­nis­ti­schen Bewe­gun­gen sein. 

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