“Wenn das Kopftuch fällt,fällt auch das islamische Regime”

Immer mehr Frauen legen im Iran das Kopftuch ab und widersetzen sich den Moralvorschriften des Mullah-Regimes. Im bruno.-Interview erklärt ZdE-Vorsitzende Mina Ahadi, welche Hoffnungen sie in die aktuellen Proteste setzt und welche Verantwortung der deutschen Politik zukommt.

bruno.: Mil­lio­nen Iraner­in­nen und Iran­er gin­gen ver­gan­ge­nes Jahr auf die Straße, um die gegen das islamis­che Mul­lah-Regime zu protestierten. Aus­lös­er war der Tod der 22-jähri­gen Mah­sa Ami­ni, die nach einem ange­blichen Ver­stoß gegen die Kopf­tuch­pflicht in Polizeige­wahrsam gestor­ben ist. Was unter­schei­det die aktuellen Proteste von vorheri­gen?

Mina Aha­di: Die Proteste haben eine neue Dimen­sion angenom­men. Bei der soge­nan­nten „Grü­nen Rev­o­lu­tion“ im Jahr 2009 wur­den Demon­stra­tio­nen haupt­säch­lich in Großstädten organ­isiert und von der Mit­telschicht getra­gen. Während sich die Forderun­gen damals auf Neuwahlen und Refor­men beschränk­ten, geht es heute um nichts weniger als den Sturz des Mul­lah-Regimes. Erst­mals demon­stri­eren Men­schen aller Schicht­en und Gen­er­a­tio­nen, um dem theokratis­chen Sys­tem ein Ende zu set­zen. Frauen haben öffentlich ihre Kopftüch­er ver­bran­nt, Stat­uen wur­den niederg­eris­sen und es gab heftige Straßen­schlacht­en mit der Polizei. Der nun weltweit bekan­nte Ruf „Jin, Jiyan, Azadî“ (deutsch: „Frau, Leben, Frei­heit“) ist zum zen­tralen Slo­gan ein­er Bewe­gung gewor­den, die den Auf­takt ein­er Rev­o­lu­tion markiert.

Wie reagiert das iranis­che Regime auf die Proteste?

Das Regime geht mit bru­taler Härte gegen die Protest­be­we­gung vor. Hun­derte Men­schen wur­den auf offen­er Straße erschossen, Zehn­tausende willkür­lich inhaftiert. In den ver­gan­genen Monat­en gab es eine regel­rechte Hin­rich­tungswelle, bei der Todesurteile im Schnel­lver­fahren voll­streckt wur­den – unter anderem, weil ihnen „Kriegs­führung gegen Gott“ vorge­wor­fen wurde. Allein im ersten Hal­b­jahr 2023 sind min­destens 354 Men­schen hin­gerichtet wor­den. Doch die mörderische Repres­sion des Regimes ist kein Zeichen von Stärke, son­dern von Schwäche und Angst. Umfra­gen deuten darauf hin, dass mehr als 80 Prozent der Iraner­in­nen und Iran­er die Islamis­che Repub­lik ablehnen. Die klerikale Führung weiß, dass sie in weit­en Teilen der Bevölkerung an Rück­halt ver­loren hat und sich nur durch Gewalt an der Macht hal­ten kann.

Warum ist das Kopf­tuch für das Regime von so großer Bedeu­tung?

Das Kopf­tuch ist kein nor­males Klei­dungsstück, son­dern ein poli­tis­ches Instru­ment, um die Reli­gion im Pri­vatleben der Men­schen zu ver­ankern und Kon­trolle über sie auszuüben. Es ist kein Zufall, dass Aja­tol­lah Khome­i­ni nach der soge­nan­nten „Islamis­chen Rev­o­lu­tion“ im Jahr 1979 als erstes die Kopf­tuch­pflicht anord­nete. In der Folge gab es zahlre­iche Über­griffe auf Frauen, die sich dem Befehl ver­weigerten. Khome­i­nis Anhänger skandierten „Ja Rusari, ja tusari“, was so viel bedeutet wie „Entwed­er Kopf­tuch oder ein Schlag auf den Kopf“. Daraufhin bildete sich eine große Frauen­be­we­gung. Tausende gin­gen auf die Straße, um gegen den Kopf­tuchzwang zu demon­stri­eren. Sie woll­ten sich nicht ver­schleiern, son­dern in Frei­heit und ohne islamis­che Moralvorschriften leben.

Die aktuellen Proteste ste­hen in der Tra­di­tion dieses Frei­heit­skampfes. Es geht nicht nur um ein Stück Stoff, son­dern um Gle­ich­berech­ti­gung und Selb­st­bes­tim­mung. Das Kopf­tuch ist Aus­druck religiös­er Bevor­mundung, die in alle Bere­iche des All­t­ags reicht: Im Iran dür­fen Frauen viele Berufe nicht ausüben, Homo­sex­u­al­ität wird rig­oros ver­fol­gt und Abtrei­bun­gen sind unter Andro­hung der Todesstrafe ver­boten. Für die Mul­lahs ist der Kopf­tuchzwang deshalb über­lebenswichtig. Ohne die Macht, über das Leben der Men­schen zu ver­fü­gen, erodiert das Fun­da­ment ihrer Herrschaft. Wenn das Kopf­tuch fällt, fällt auch das islamis­che Regime.

Zum voll­ständi­gen Inter­view …

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